Donnerstag, 19. Mai 2005
Bahntickets bei Lidl! Heute morgen konnte ich das gute alte Aldi-PC-Phänomen erstmals live erleben: bei Lidl gab's billige Bahntickets — für einen in Schwaben wohnenden Exil-Mecklenburger natürlich ein Muß! Gleichzeitig aber auch eine schöne Gelegenheit, etwas über Discounter-Psychologie zu erfahren...
Der örtliche Lidl macht, wie jeder andere Lidl wohl auch, jeden Morgen um acht auf. Der Ecki entscheidet sich in einem Anflug von Genialität dafür, schon zehn Minuten früher vor Ort zu sein, quält sich also pflichtbewußt um halb acht aus dem Bett und schwingt sich noch halb schlafend auf sein treues Fahrrad, nur um vor dem Supermarkt dieses Bild zu sehen.
Zunächst sind die Hoffnungen auf ein Bahnticket (oder vielleicht gar zwei?) gedämpft aufgrund der Menschenmenge, aber als die Schlange dann innerhalb der nächsten fünf Minuten nochmal auf das Doppelte der Länge anwächst, kehrt der Optimismus zurück: mag sein, daß die letzten in der Schlange nix mehr kriegen, aber ich, der ich ja mitten drin steh, werd auf jeden Fall noch was abbekommen :-) Und so öffnen sich die Pforten des Lidl um Punkt acht, und alles stürmt pronto zu den Kassen. Oder, in diesem lokal begrenzten Fall, zur Kasse, denn mehr als eine wird nicht geöffnet. Warum auch, die Schlange steht ja nur durch den halben Laden. Im Vorbeigehen sieht man den ersten Kunden an der Kasse stehen, und die Mitarbeiterin zählt ihm seine eben erstandenen Tickets vor: eins-zwei-drei-vier-fünf... WIEVIELE KRIEGEN DIE DENN?! Nun denn, lange Zeit tut sich in der Schlange garnichts, und die ersten Kunden werden langsam mürrisch, weil sie ja noch "schaffen", also arbeiten gehen müssen. Ob die Mitarbeiter nicht mal ansagen könnten, wieviele Karten noch vorhanden sind. Ein sinnvoller Vorschlag, was man vor allem daran erkennt, daß der Fragesteller sofort von einem arrogant dreinblickenden Studenten angeblökt wird, daß der Einkauf hier ja freiwillig sei, und man auch gehen könnte, wenn es einem nicht passe. Gleichzeitig kann man beobachten, wie eine zweite Mitarbeiterin ständig zwischen Lager und Kasse hin- und herpendelt, um ihrer Kollegin an der Kasse immer wieder eine kleine Handvoll Tickets zu überbringen — "aus Sicherheitsgründen" dürfen nämlich nicht zu viele Tickets auf einmal vorne liegen. Kaum der Rede wert, daß diese Vorkehrungen das Vorankommen der Schlange nicht unbedingt fördern. Nachdem vielleicht fünfzehn Kunden ihre Fahrkarten gekauft haben, kommt eine Nachricht von vorn: es lohne sich nicht mehr, zu warten, denn es seien nur noch dreißig, höchstens vierzig Karten da. Die ersten Kunden auf den hinteren Rängen verabschieden sich. Bei uns, also im Mittelfeld, geht das Gerücht rum, daß es Listen geben soll, auf die man sich eintragen soll, wenn die Tickets aus sind. Die Bahn würde sich dann melden. Fünf Kunden später tritt der befürchtete Worst Case auch prompt ein: keine Tickets mehr da. Die Kollegin hat auch gleich eine Excel-Liste ausgedruckt und hinter der Kasse ausgelegt, vor der sich wiederum eine Schlange bildet. Woraufhin sie noch ein zweites leeres Blatt samt Stift auslegt, das aber, typisch deutsch, von den Schlangestehern mal völlig ignoriert wird. Sieht schließlich so überhaupt nicht offiziell aus. Fazit der ganzen Aktion: eine Stunde Schlangestehen im Lidl (damit hätt ich mit etwas mehr Enthusiasmus richtig Kohle machen können!), von schätzungsweise achtzig Kunden haben etwa zwanzig die gewünschte Ware bekommen. Bei eBay werden die ergatterten Tickets übrigens bereits jetzt mit einem saftigen Aufschlag gehandelt. Ich selbst bin zwar leer ausgegangen, habe dafür aber eine zweifelhafte (da allein vom Lidl-Chef abhängige) Option auf zwei Karten, und die wertvolle Erkenntnis, daß ich in so einem Saftladen so schnell nicht wieder einkaufen gehe. Fragwürdig, ob diese Promo-Aktion tatsächlich mehr Kunden gewinnt als abstößt... |
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